Höf­lich­keit im All­tag – und was Kara­te-Do damit zu tun hat

Es fällt immer öfter auf, dass Wor­te wie „Hal­lo“, „Bit­te“ oder „Dan­ke“ im All­tag kaum noch aus­ge­spro­chen wer­den. Was frü­her selbst­ver­ständ­lich war, wirkt heu­te auf man­che über­flüs­sig oder sogar alt­mo­disch. Doch war­um ist das so – und was kön­nen wir tun, um die­ser Ent­wick­lung ent­ge­gen­zu­wir­ken?

Ein Grund liegt in der Digi­ta­li­sie­rung. Immer mehr Kom­mu­ni­ka­ti­on läuft über Mes­sen­ger oder Chats, in denen Emo­jis und Abkür­zun­gen gan­ze Sät­ze erset­zen. Die Spra­che wird sach­li­cher, knap­per und ver­liert an Wär­me. Auch das Home­of­fice und die zuneh­men­de sozia­le Distanz tra­gen ihren Teil dazu bei. Wenn Begeg­nun­gen im Büro, im Super­markt oder auf der Stra­ße sel­te­ner wer­den, gibt es schlicht weni­ger Gele­gen­hei­ten, Höf­lich­keit zu prak­ti­zie­ren. Hin­zu kommt die Anony­mi­tät des Inter­nets. Wer online belei­digt oder igno­riert, über­nimmt die­ses Ver­hal­ten manch­mal unbe­wusst auch im ech­ten Leben. Schließ­lich führt der stän­di­ge Zeit- und Leis­tungs­druck dazu, dass vie­le Men­schen mei­nen, kei­ne Zeit für „unnö­ti­ge“ Wor­te zu haben.

Das Ergeb­nis ist eine Gesell­schaft, in der Respekt, Wert­schät­zung und mensch­li­che Wär­me nach und nach ver­schwin­den. Dabei sind klei­ne Wor­te wie „Bit­te“ und „Dan­ke“ weit mehr als Neben­säch­lich­kei­ten. Sie sind Aus­druck von Acht­sam­keit und Aner­ken­nung. Sie zei­gen: Ich neh­me dich wahr, ich respek­tie­re dich. Feh­len die­se Wor­te, ent­steht eine Atmo­sphä­re der Gleich­gül­tig­keit, die Men­schen auf Dau­er von­ein­an­der ent­frem­det.

Einen span­nen­den Gegen­pol bie­tet der Weg des Kara­te-Do. Wer Kara­te übt, lernt nicht nur kör­per­li­che Tech­ni­ken, son­dern ent­wi­ckelt auch Cha­rak­ter, Respekt und Dis­zi­plin. Jede Trai­nings­ein­heit beginnt und endet mit einer Begrü­ßung und einer Ver­beu­gung – Ritua­le, die Wert­schät­zung aus­drü­cken. Part­ner­übun­gen funk­tio­nie­ren nur, wenn bei­de sich ver­trau­en und rück­sichts­voll mit­ein­an­der umge­hen. Und die inne­re Hal­tung, die Kara­te ver­mit­telt, näm­lich Dis­zi­plin, Demut und Selbst­be­herr­schung, über­trägt sich direkt auf das Leben außer­halb des Dojo. Begrif­fe wie Rei, der Respekt und die Höf­lich­keit, oder Do, der Weg, erin­nern dar­an, dass Kara­te mehr ist als Sport – es ist eine Schu­le des Lebens.

Beson­ders Kin­der und Jugend­li­che pro­fi­tie­ren von die­ser Erfah­rung. In einer Zeit, in der digi­ta­le Kon­tak­te oft wich­ti­ger erschei­nen als per­sön­li­che Begeg­nun­gen, bie­tet das Dojo einen Raum, in dem grund­le­gen­de Wer­te gelebt wer­den. Die kla­re Struk­tur und die Hier­ar­chie im Kara­te geben Ori­en­tie­rung und Sicher­heit. Kin­der ler­nen, dass Respekt und Auto­ri­tät zusam­men­ge­hö­ren und dass auch sie selbst das Recht haben, respekt­voll behan­delt zu wer­den. Durch das gemein­sa­me Üben ent­wi­ckeln sie Empa­thie, ler­nen, die Reak­tio­nen ande­rer wahr­zu­neh­men und ange­mes­sen zu reagie­ren.

Para­do­xer­wei­se lehrt Kara­te jun­ge Men­schen auch, Kon­flik­te fried­lich zu lösen. Sie begrei­fen, dass wah­re Stär­ke in Selbst­be­herr­schung liegt und dass Respekt mehr bewirkt als Aggres­si­on. Das Gür­tel­sys­tem ver­mit­telt zudem, dass Erfol­ge nur durch Aus­dau­er und kon­ti­nu­ier­li­ches Üben erreicht wer­den. So ler­nen Kin­der, Her­aus­for­de­run­gen nicht aus dem Weg zu gehen, son­dern Schritt für Schritt dar­an zu wach­sen. Gleich­zei­tig eröff­net der japa­ni­sche Ursprung des Kara­te einen Blick auf ande­re Kul­tu­ren. Jugend­li­che erken­nen, dass Höf­lich­keit eine uni­ver­sel­le Spra­che ist, die Brü­cken schlägt und Ver­bin­dun­gen schafft.

Die im Kara­te erlern­ten Wer­te wir­ken unmit­tel­bar auf den All­tag zurück. Kin­der, die Kara­te prak­ti­zie­ren, tre­ten bewuss­ter auf, schau­en ihrem Gegen­über in die Augen, spre­chen klar und hören auf­merk­sam zu. Eltern berich­ten, dass ihre Kin­der höf­li­cher, hilfs­be­rei­ter und rück­sichts­vol­ler gewor­den sind. Auch im digi­ta­len Raum wirkt sich das aus: Jun­ge Kara­te­ka ver­ste­hen, dass hin­ter jedem Bild­schirm ein Mensch steht, der Respekt ver­dient.

Mit der Zeit über­neh­men Kin­der im Dojo auch Ver­ant­wor­tung. Sie hel­fen Anfän­gern, küm­mern sich um die Aus­rüs­tung und ler­nen so, dass eine Gemein­schaft nicht nur Rech­te, son­dern auch Pflich­ten mit sich bringt. Sie erfah­ren, dass Nie­der­la­gen Teil des Ler­nens sind und dass man aus Feh­lern wach­sen kann. Das macht sie wider­stands­fä­hig und gibt ihnen inne­re Ruhe. In einer hek­ti­schen Welt wird das Dojo zu einem Ort der Besin­nung und Kon­zen­tra­ti­on.

Die abneh­men­de Ver­wen­dung von Wor­ten wie „Hal­lo“, „Bit­te“ und „Dan­ke“ spie­gelt die Ver­än­de­run­gen unse­rer Gesell­schaft wider. Kara­te-Do zeigt, wie wich­tig die­se Ges­ten sind – nicht als lee­re Flos­keln, son­dern als Hal­tung. Gera­de für jun­ge Men­schen ist Kara­te eine Chan­ce, in einer ent­schei­den­den Lebens­pha­se Wer­te zu ver­in­ner­li­chen, die sie ein Leben lang beglei­ten. Sie ler­nen Selbst­dis­zi­plin, Respekt, Empa­thie und den Umgang mit Kon­flik­ten. Damit erwer­ben sie Fähig­kei­ten, die nicht nur im Dojo, son­dern auch in Schu­le, Beruf und spä­te­ren Füh­rungs­rol­len unver­zicht­bar sind.

Kara­te ist mit all sei­nen posi­ti­ven Ein­flüs­sen mehr als nur Sport. Es ist ein Trai­ning für das Leben. Oder, wie eine alte Weis­heit aus dem Budo sagt: Kara­te beginnt mit Respekt und endet mit Respekt – und formt dabei den Men­schen, der es prak­ti­ziert.