KARATE-SV EXPERT TRAINER Heiko Höhn und Daniel Bast aus Bingen am Rhein berichten von Ihrem Szenarien Training :
„Was machen die da?“, wird sich mancher Passant halb irritiert, halb fasziniert gefragt haben, der am vergangenen Dienstag das Schulgelände des Stefan-George-Gymnasiums in Bingen am Rhein betrat, auf dem sich eine Trainingsgruppe des Athletik Sportvereins 1898 Bingen e.V. zu einem Karatetraining der etwas anderen Art versammelt hatte.
Fernab der üblichen Trainingsumgebung einer Turnhalle, nahmen sie die Gelegenheit wahr, im Freien Gelände neue Erfahrungen in der Selbstverteidigung zu sammeln, denn: Selbstverteidigung geschieht im Alltag. Und so wurde der traditionelle Karateanzug gegen normale Alltagskleidung getauscht und Selbstverteidigungsszenarien in freier Umgebung erarbeitet.
Vor dem Hintergrund des Prinzips „Erkennen – Vermeiden – Abwehren“ wurde eingangs die Bedeutung einiger Grundlagen des Selbstschutzes besprochen, wie etwa die Aufmerksamkeit in vermeintlich sicheren Umgebungen, der zweckmäßige Einsatz der Stimme oder Strategien zur Gewaltvermeidung. Anschließend stand erlebnisorientierte Selbstverteidigung im Zentrum der Trainingseinheit. Denn erst möglichst realitätsgetreue, chaotische Übungssituationen ermöglichen ein Gespür dafür zu bekommen, welche Herausforderungen in einer realen Selbstverteidigungssituation auf den Betroffen zukommen.
Verteidigungstechniken gegen unerwartete Angriffe beim Treppensteigen forderten die Teilnehmer ebenso heraus wie Übungen, die sie in die Lage versetzten, sich auf beengtem Raum, mit dem Rücken an einer Wand oder auf unebenem Untergrund gegen Angreifer zu behaupten. Alltagsgegenstände kamen als Waffen zum Einsatz und Handpratzen sowie Schlagpolster wurden genutzt, um einen realistischen Eindruck von der Trefferwirkung der eigenen Techniken zu gewinnen. Das Highlight bildeten Worst-Case-Szenarien, die alle Teilnehmer sowohl an ihre psychischen als auch an ihre physischen Grenzen treiben sollten – mit Erfolg! Szenarien, die Verteidigungen gegen Hiebwaffen oder mehrere Angreifer im Stand und am Boden umfassten, verlangten den couragierten Karateka Einiges ab!
„Ist das noch Karate?“, mögen sich Kenner unserer Kampfkunst fragen. Als Befürworter eines Karates, das sich über seinen Nutzen in der Praxis definiert, kann man auf diese Frage nur mit einem emphatischen „Ja, natürlich!“ antworten. Die Wurzeln des Karate gründen im Bedürfnis die Fähigkeit zu erlangen, sich selbst verteidigen zu können. Somit ist das Selbstverteidigungskonzept eine wichtige Säule der funktionalen Kampfkunst Karate. Das Training in einer Alltagsumgebung gab den Teilnehmern die Möglichkeit, die eigene Komfortzone zu verlassen, sich ungewohnten Situationen zu stelle, sich körperlich und mental zu fordern und somit ihr eigenes Zutrauen in sich und ihre Kampfkunst zu stärken.
„Sollen wir helfen?“, riefen Passanten einer Trainierenden mit verhaltenem Lachen zu, als diese sich gegen zwei Angreifer zur Wehr setzte. Wenn Selbstverteidigungstraining von Beobachtern kaum noch von realer Selbstverteidigung unterschieden werden kann, bleibt das gute Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein und graue Theorie in bunte Praxis verwandelt zu haben. Für die Teilnehmer stand am Ende eindeutig fest: Diese Art des Trainings darf gerne öfter stattfinden.
Danke für den tollen Bericht,
Euer Christian Wedewardt