Mei­ne Sicht der Din­ge Teil 4: His­to­ri­sche Meis­ter und moder­nes Kara­te-Do

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Ein nach­denk­li­cher Arti­kel von Chris­ti­an Wede­wardt

Mei­ne Sicht der Din­ge Teil 4

Dies ist ein nach­denk­li­cher Arti­kel zum Umgang mit dem tra­di­tio­nel­len Kara­te-Do.

Immer wie­der fin­de ich im Web Zita­te und Fotos von his­to­ri­schen Kara­te-Meis­tern mit wich­ti­gen Grund­satz-Aus­sa­gen zum The­ma Kara­te-Do. Was pas­siert dann? Gele­sen, gut gefun­den, abge­spei­chert, wei­ter­ge­macht wie bis­her. War­um? War­um den­ken wir nicht wei­ter? War­um lösen wir uns nicht ein Stück und schau­en uns das Kara­te ein­mal mit etwas Abstand aus der Vogel­per­spek­ti­ve an?

Mir fällt auf, daß häu­fig auf die tra­di­tio­nel­len Wur­zeln ver­wie­sen wird ohne dem Sinn-Inhalt der tra­di­tio­nel­len Bot­schaft, z.B. der von Meis­ter Funa­ko­shi genann­ten Regeln und Prin­zi­pi­en zum Kara­te-Do tat­säch­lich zu fol­gen.

Ich möch­te mich hier nicht an Kara­te­sti­le im Ein­zel­nen rich­ten, son­dern unse­re Kunst als Gan­zes betrach­ten und Funakoshi’s Regeln nur bei­spiel­haft nut­zen.

Das Kara­te in Deutsch­land ori­en­tiert sich als tra­di­tio­nel­les Kara­te oft an den Trai­nings­for­men die in den 1950er ‑60er und ‑70er Jah­ren von der Japa­ni­schen Kara­te Asso­cia­ti­on durch die sei­ner­zeit bes­ten Sport-Ath­le­ten von Japan aus in die Welt expor­tiert wur­den.

Ziel die­ser Orga­ni­sa­ti­on war ver­brei­tet nicht, der Export der Kara­te­kunst oder das im Kara­te vor­han­de­nen Know-How zur Selbst­ver­tei­di­gung zu ver­brei­ten, son­dern eine welt­weit agie­ren­de Sport-Orga­ni­sa­ti­on auf­zu­bau­en und zu eta­blie­ren. Folg­lich lehr­ten uns die Gesand­ten die­ser Zeit das, was sie sel­ber am bes­ten konn­ten — Kara­te als Sport. Ich glau­be an die­ser Stel­le nicht erläu­tern zu müs­sen, dass dies nicht die Tra­di­ti­on des Kara­te-Do gewe­sen ist, son­dern ein zu die­ser Zeit neu auf­ge­kom­me­ner Bereich, der poli­tisch gewollt war um das Kara­te in der Welt zu ver­brei­ten und sich dabei sport­lich mes­sen zu kön­nen.

Zurück zum The­ma: War­um sind alte Grund­satz­aus­sa­gen oft nicht mehr als Zita­te?

Ein krea­ti­ver Umgang mit den im Kara­te gebo­te­nen Inhal­ten erfolgt groß­tei­lig nicht. Das Über­den­ken vor­ge­ge­be­ner Metho­den und Inhal­te und ein Infra­ge­stel­len bis­he­ri­ger Metho­den sowie eine Über­prü­fung von alt­her­ge­brach­ten Tech­ni­ken dahin­ge­hend ob sie in der heu­ti­gen Zeit prak­ti­ka­bel und anwend­bar sind, fehlt eben­falls auch häu­fig. Dabei war es Funa­ko­shi sel­ber, der in sei­nen 20 Regeln erläu­ter­te: Die Welt ändert sich, also müs­sen es die Kampf­küns­te auch tun.

Häu­fig sehe ich Trai­nings­in­hal­te wel­che von einem Trai­ner vor­ge­ge­ben wer­den und von der gesamt Grup­pe 1 zu 1 nach­ge­ahmt wer­den müs­sen, unab­hän­gig davon ob die vor­ge­ge­be­ne Auf­ga­be für den Ein­zel­nen auf­grund gege­be­ner Umstän­de von Grö­ße, Gewicht, Alter oder kör­per­li­chen Fähig­kei­ten, über­haupt funk­tio­nie­ren. 

Hier­zu sag­te Funa­ko­shi: “Wand­le dich in Abhän­gig­keit vom Geg­ner.” Selbst­ver­ständ­lich gehört eine hohe Anzahl an Wie­der­ho­lun­gen mit in ein geführ­tes, lang­fris­tig auf­bau­en­des Kara­te-Trai­ning um Per­fek­ti­on der Tech­nik und der For­men zu errei­chen. Den­noch war es auch wie­der Gichin Funa­ko­shi, der zur Fle­xi­bi­li­tät und Krea­ti­vi­tät schon in sei­nen Regeln auf­rief, indem er sag­te der Anfän­ger brau­che fes­te Regeln und Stän­de aber der Fort­ge­schrit­te­ne bewegt sich frei und natür­lich.

Nicht zuletzt erklär­te er in sei­nen Regeln: “Ver­su­che dich täg­lich an etwas Neu­em!”

Hier­zu stel­len sich mir dann sofort eini­ge Fra­gen:

  • War­um trai­nie­ren wir im Kara­te —  Jahr ein Jahr aus die glei­chen Tech­ni­ken ohne die­se zu vari­ie­ren und krea­tiv damit umzu­ge­hen?
  • War­um zei­gen wir und erwar­ten wir bei hoch­gra­du­lier­ten Kara­te­ka, in fort­ge­schrit­te­nen Dan-Prü­fun­gen, immer noch tiefs­te Stän­de und größ­te Kör­per­span­nung, obwohl die­se Eigen­schaf­ten und Kri­te­ri­en bereits mehr­fach bei vor­an­ge­gan­ge­nen Prü­fun­gen abge­fragt und erfolg­reich dar­ge­bo­ten wor­den sind, (denn sonst wür­de es ja nicht jetzt zu einer neu­en Prü­fung kom­men)?
  • War­um erlau­ben wir nicht den fort­ge­schrit­te­nen Kara­te­ka sich frei, in höhe­ren Stän­den, krea­tiv, fle­xi­bel und auch rund zu bewe­gen und dies als ein Zei­chen von gestei­ger­tem Kön­nen durch Ver­än­de­rung und Wei­ter­ent­wick­lung Ihrer Tech­ni­ken zu akzep­tie­ren?
  • Waum gilt oft nicht die alte Weis­heit: Je höher der Gür­tel, umso kür­zer die Anspan­nungs­pha­se?

Ich bin mir beim Schrei­ben die­ses Arti­kels durch­aus bewusst dass dies ein streit­ba­rer Inhalt ist. Den­noch! 

Mit der Ver­öf­fent­li­chung die­ses Arti­kels möch­te ich auf die­se Miss­stän­de hin­wei­sen und zum Nach­den­ken hin­sicht­lich einer Ver­än­de­rung anre­gen. Wäh­rend sich der Bereich des Sports von Jahr zu Jahr wei­ter­ent­wi­ckelt und pro­fes­sio­na­li­siert, bleibt der Bereich des Brei­ten­sports regel­mä­ßig in den Trai­nings­for­men von damals hän­gen und ver­säumt eine Wei­ter­ent­wick­lung zu einer moder­nen Kampf­kunst.

Ich glau­be ernst­haft, wür­de Meis­ter Funa­ko­shi heu­te noch leben und sein Trai­ning im heu­ti­gen Japan aus­füh­ren, er sel­ber wür­de es nicht mehr in der Form tun, wie er es in sei­ner Zeit getan hat und wei­ter glau­be ich nicht, dass er in einem Land irgend­wo auf der Welt erwar­ten wür­de, dass dort heu­te ein Kara­te von damals prak­ti­ziert wird.

War­um traue ich mich zu die­ser Aus­sa­ge?

Weil nicht so bestän­dig ist wie der Wan­del. Weil das unbe­ding­te Fest­hal­ten an alten For­men ohne vor­sich­ti­ge Anpas­sun­gen an die jeweils heu­ti­ge, moder­ne Zeit und deren Anfor­de­run­gen, ein Rück­schritt ist und nicht in die­ser Form als posi­tiv zu bewer­ten.

Wei­ter las­se ich mich auf die­se Aus­sa­ge ein, weil es auch in der Kara­te-His­to­rie immer die­je­ni­gen waren, die neue Wege gegan­gen sind und neue Din­ge ent­wi­ckelt haben, die den Din­gen neue Namen gege­ben und das Kara­te ins­ge­samt vor­wärts ent­wi­ckelt haben die uns im Gedächt­nis geblie­ben sind. Heu­te erin­nern und bezie­hen wir uns an die Per­so­nen der Kara­te-His­to­rie die sich getraut haben Din­ge anders zu machen und neue Wege zu gehen, denn auch Funa­ko­shi war eine die­ser Per­so­nen. Er hat nicht ein­fach wei­ter­ge­macht was sei­ne Meis­ter ihn gege­ben haben, son­dern das Bes­te genom­men was Ito­su und Asa­to ihn gelehrt haben und hat es zu sei­nem Stil gemacht. Er hat  sein  Kara­te betrie­ben und er wür­de sich sicher wün­schen, daß Krea­ti­vi­tät und Mut sein Kara­te hier da und dort wei­ter­ent­wi­ckeln um es zu immer neu­er Stär­ke wach­sen zu las­sen.

Euer

Chris­ti­an Wede­wardt